Innenansichten
Anders
lilly-charlotte, Samstag, 2. Dezember 2006, 11:56
Ein Umzug, bei dem man idiotischerweise zugesagt hat, obwohl man den Umzieher gar nicht kennt. Irgendein Bekannter des Freundes einer ehemaligen Mitstudentin. Aber es ist nur drei Strassen weiter und die neue Wohnung vier Strassen weiter und das Wetter ist annehmbar, also versucht man, sich für diese in euphorischem Zustand getroffene, aber völlig unbedachte Zusage zu motivieren.

Das schmale Treppenhaus riecht nach kaltem Rauch und irgendetwas Undefinierbarem, was entfernt an alte Kleidung erinnert. Irgendwann muss das Haus neu und die Kacheln im Hausflur glänzend gewesen sein, aber davon ist nur noch eine Ahnung übrig.
Die Wohnung ist ein einziges Durcheinander. Kein Umzugs-Durcheinander, Lebens-Durcheinander. Hilflose Stapel von allem, ein Mosaik aus leeren Flaschen, Medikamentenschachteln, verblichenen Kissen. Der Fussboden ist gemustert von Rotwein-Sprenkeln und Kaffeetassen-Ringen.
Es ist nicht die Lieblosigkeit, die aus der Wohnung spricht und auch nicht das Chaos, was einen fröstelt lässt.
Es ist die Trostlosigkeit, die wie eine ungeladene Matrone auf dem Sofa Platz genommen hat, das Steuer übernommen hat, sich hofieren lässt.

Als ich wieder zuhause ankomme, die Wohnungstür aufschließe und mich durchwärmt fühle, bin ich mit einem Mal sehr dankbar für das, was ich habe, auch wenn es eigentlich nichts Besonderes ist.

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diagonale, Samstag, 2. Dezember 2006, 14:34
Dann war es ja doch zu etwas nütze, die Plackerei auf sich genommen zu haben. Man sollte sich immer wieder darauf besinnen, dass es einem eigentlich gut geht.

Ja, da ist was dran.
Perspektivenwechsel sind nie verkehrt, aber manchmal vergisst man sie einfach. Ab und zu sollte man wahrscheinlich daran denken.

Solche Einblicke in andere Schicksale sind sicher aufschlussreicher als zehn TV-Dokumentationen über gescheiterte Existenzen. Nur leider hält der neu gewonnene Optimismus höchstens bis zum nächsten Tiefschlag, den man abbekommt.

Übrigens ist an Rotweinflecken und Kaffeetassenringen nichts verwerfliches. :)
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schneelche, Samstag, 2. Dezember 2006, 18:19
Oh, ich weiß genau, was Du meinst. Und dann stell Dir vor, es ist der Mensch, mit dem Du einmal eine Beziehung eingegangen bist, der so lebt. Es ist einfach nur zum Weinen.

Das muss tatsächlich noch bedrückender sein. Da hatte ich schon den Vorteil, daß das ein mir gänzlich unbekannter Mensch war und ich nach dem Umzug einfach die Tür hinter mir zumachen konnte.
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