Innenansichten
Fisch im Netz
lilly-charlotte, Sonntag, 25. März 2007, 12:57
Ich höre zu und merke, wie die Ausläufer des Sich-Selbst-Bedauerns auf Zehenspitzen zu mir herüberschleichen. Kein offenes Klagen, kein Jammern von der anderen Seite des Tisches, aber ein Seufzen an den richtigen Stellen, ein tapferes Lächeln untermalt von kleinen Gesten, die einladen, zu Fragen: "Was ist denn los?".

Aber ich weiß es ja und es langweilt mich, mehr noch, ich bin es überdrüssig. Daher werde ich nicht mehr fragen, genauso wenig, wie ich mich zu ihr herüber beugen und ihr ins Ohr flüstern werde, dass es selbstgemachte Probleme sind, die sie beschäftigen. Dass sie Stellung beziehen und Entscheidungen treffen könnte, statt das Selbstmitleid leise über sich hinweg plätschern zu lassen, stetig, aushöhlend. Innere Bewegungslosigkeit, sorgsam konserviert.

Dass man beim Spielen immer auch das Risiko des Verlierens trägt und wenn man nicht verlieren kann, soll man nicht spielen. Dass das Kilo mehr oder weniger es nicht wert ist, sich das Genießen zu versagen und wenn doch, geht man besser nicht essen.
Und ein bißchen tut sie mir dann doch leid, als wir uns verabschieden. Weil ich den Eindruck habe, dass sie sich schon sehr lange nicht mehr richtig lebendig gefühlt hat.

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schluesselkind, Sonntag, 25. März 2007, 15:22
Wie wahr. Und wie gut beschrieben. Seit ich das Selbstmitleids-Teufelchen bei anderen (und auch bei mir selber... räusper...) ignoriere, verlaufen manche Gespräche ganz anders. Das ist dann durchaus auch sehr interessant zu beobachten.
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petersilie, Donnerstag, 29. März 2007, 10:15
Hundertfach erlebt (auch bei mir selbst!)- aber so treffend wie Sie hätte ich das nicht beschreiben können.

Ich sag' mal so: An anderen Leuten "nervt" einen das, dieses lethargische im-akuten-Elend-Verharren, die Erfahrung zeigt, daß dagegen nix hilft. Das ist, wie wenn Sie beste Freundin bei Liebeskummer sind, ("...und dann hat er so geguckt, und dann hat er so gemacht und dann hat er diesunddas gesagt, aber dabei so geguckt, ...und, ...was meinste? WAS will er mir damit sagen...?") und Ihnen einen Meinung zu einem Sachverhalt abverlangt wird, von dem Sie objektiv überhaupt nichts kennen, sondern von dem man Ihnen nur rosarote Schnappschüsse geliefert hat.

Irgendwann wird der Leidensdruck übermächtig, und dann geschieht "etwas".
Bei manchen dauert es 6 Stunden, bei manchen 14 Tage, einige brauchen Monate und bei wieder anderen tut sich nach 45 Jahren noch nix.
Ich sag' mir dann immer: Dann kann's auch nicht sooo schlimm sein, denn ich warte ja selber immer, bis es ganzganzschlimm ist.
Dafür gibt es schließlich kein Rezept, denn wer kann einem schon verlässlich sagen, ob es besser ist, die Flinte nicht gleich ins Korn zu werfen, oder gar nicht erst kostbare Lebenszeit zu verschwenden.

Man muss das mythologischer betrachten: Erst nach dem Durchwandern des dunkelsten Tales erfolgt Läuterung - manche wandern eben etwas länger... ;-)

Und einstweilen sitzen die anderen genervt und mitleidig drumherum.

Hinterher, wenn man merkt, wie tot man eigentlich schon war, staunt man selber: Über Dinge, die einem gute Freunde schon langelange gesagt haben...

Nein, Frau Petersilie, da haben Sie völlig Recht: Da gibt es kein Patentrezept. Weitermachen oder Ausharren, richtig oder falsch, das kann einem nie jemand vorher sagen. Niemand von uns ist vor Phasen akuten Selbstmitleids sicher, und das hat scheinbar auch gute Seiten.

Aber: Wenn ich merke, dass mich eine bestimmte Situation krank macht oder bestimmte Menschen mir nicht gut tun, weil sie einen zu grossen (negativen) Einfluss auf mein Leben haben, dann kommt irgendwann ganz deutlich der Wunsch zu Tage, dies ändern zu wollen. Jedenfalls bei mir, da bin ich vielleicht auch einfach Egoistin genug.
Natürlich ist genau das ein Entscheidungsprozess von dem man nie weiß, wie lange er dauert, aber er gründet auf dem Willen, etwas ändern zu wollen.
Und dort, in der oben beschriebenen Situation, ist dieser Wille einfach nicht (mehr oder noch nicht wieder) da. Nicht hören, nicht sehen, nichts tun, nur dieses stille Selbstbedauern.

Sozusagen: Schicksalhafte Schicksalsergebenheit?

Ich kenne auch so einen Fall, und ohne Ihre Hoffnungen jetzt komplett zerstören zu wollen, aber in diesem Leben wird das in dem mir bekannten Fall nichts mehr, denn wenn man schon mehr Lebenszeit mit Jammern als ohne verbracht hat, dann ist das Jammern wohl derart essentieller Bestandteil des Alltags geworden, daß man das Elend gar nicht mehr missen möchte...

Gibt's leider auch.
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