Innenansichten
Sonntag, 21. Januar 2007
Schöner reisen
lilly-charlotte, Sonntag, 21. Januar 2007, 19:25
Frustrationstoleranzgrenze wohlweislich noch ein Stückchen nach oben geschraubt, ein letzter Schluck Kaffee und dann trotz dauerhaft nicht erreichbarer DB-Sturmschäden-Hotline zum Hauptbahnhof.

Am Service-Punkt noch schnell nochmal informiert: Ja, ja, Zug fährt, wird zwar umgeleitet, woher genau wisse man leider nicht (oh je), aber Sie kommen an. Aha. Immerhin. Und auch wieder zurück? Misstrauischer Blick des Auskunftgebers, dann ein: Na ja, sicher, was glauben Sie denn?
Kein Kommentar, besser, man beschwört manche Dinge erst gar nicht herauf, indem man sie laut ausspricht.

Am Bahnsteig der erste Anflug einer Ahnung, dass man Warten manchmal als Lebeneinstellung praktizieren sollte. Der vorher eintreffende ICE zieht mit 40 Min. Verspätung davon, vom erwarteten Zug noch keine Spur.
Dafür die Ansage, dass auf einem Streckenteilstück nur ein Gleis befahrbar sei und es deswegen zu nicht unerheblichen Verspätungen komme. Kyrills Erbe, sozusagen.
Gut. Bleibt also nur, den Gleisanzeiger leicht paralysiert anzustarren und dabei zuzusehen, wie die Verspätung im 10-Minuten-Takt auf letztlich 55 Minuten anwächst. Und dann - ohne weitere Ankündigung, endlich ein völlig überfüllter Zug.
Bei der Sitzplatzwahl die Entscheidung zwischen den Teilnehmern eines Rollenspiels in entsprechender Kostümierung und eines Mittvierziger-Damenkegelclub mit reichlichen Sektvorräten zugunsten der Rollenspieler - die im Gegensatz zum Damenkegelclub erfreulicherweise eine Art Schweigeglübde abgelegt haben und sich allerhöchstens vereinzelt Stichworte zumurmeln.
Also mich beruhigt die bequeme Sitzpostion in DB-Regionalzügen zurechtgerückt und in der nächsten dreiviertel Stunde Julian Carax´ Barcelona gewidmet.
Dabei störte dann nur die plötzliche Erkenntnis, dass sich die Geräuschkulisse geändert hat: Die Kegelclub-Damen quiekt nicht mehr, der Zug rattert nicht mehr, sondern steht bereits verdächtig lange im angefahrenen Bahnhof. Und richtig, unser freundlicher Zugführer informiert kurze Zeit später, dass sich die Weiterfahrt aufgrund einer Streckensperrung für unbestimmte Zeit verzögert. Mehr weiß er entweder auch nicht oder er gehört nicht zur mitteilungsfreudigen Sorte, also heisst es abwarten und im Hinterkopf schon einmal Plan B schmieden, wie man im Zweifelsfall wieder Richtung Heimat kommt, falls es nichts mehr würde heute, mit mir und dem Zug. Der Krisenstab der Bahn brauchte dann etwas über 30 Minuten, um das Problem zu lösen und den Zug weiterrollen zu lassen.

Aber im übernächsten Bahnhof war dann Schluss mit Zug und mit lustig. Denn unser freundlicher Zugführer informiert: Bis hierhin und nicht weiter, der Zug fährt aufgrund der Verspätung von 95 Minuten nicht mehr bis zum Zielbahnhof, Anschlusszüge - na ja, schauen Sie mal vor Ort.
Vor Ort war in diesem Fall Wanne-Eickel und es lag wahrscheinlich nur an der Witterung, meinen kalten Füssen und einem leichten Hungergefühl, dass ich Wanne-Eikel nicht wirklich zu würdigen wusste. Die Wanne-Eikler mögen mir dies nachsehen.

Aber dann, irgendwann, nahte ein Zug Richtung Zielbahnhof, der Retter in der Not, der mich schließlich sanft und ohne weitere Zwischenfälle im Zielbahnhof absetzte.
Gelernt: Zeit wird beim Reisen völlig überbewertet - das rücken 180 km in 4,5 Stunden doch gleich wieder ins rechte Licht. Ebenfalls gelernt: St. Petersburg hat einen Fussball-Verein. Und: Rheinische Brauhäuser entschädigen für vieles.

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